Gegen Desinformation immunisieren

Fotos: (v.l.n.r) Anette Koroll, photothek/Trutschel, Robert Paul Kothe

Bund und Länder müssen gesellschaftliche Abwehrkräfte gegen Fake News, Hass und Hetze im Netz stärken. Ein Gastbeitrag von Anna Lührmann, Erhard Grundl und Franziska Krumwiede-Steiner (alle Grüne), erschienen zuerst in der Frankfurter Rundschau.

Wir befinden uns mitten in einer Epidemie. Einer Epidemie der Desinformation. Wie ein Virus verbreiten sich gezielte Falschmeldungen in der digitalen Welt von Nutzerin zu Nutzer und vergiften nach und nach das gesellschaftliche Klima. Das Virus der Desinformation ist dabei äußerst anpassungsfähig an nationale Debatten und regionale Eigenheiten.

Aktuelle Recherchen von Journalist:innen zeigen, dass Deutschland mittlerweile Hauptziel maßgeschneiderter russischer Kampagnen ist. Der Plan: Vertrauen zerstören, Hass säen und Extremisten stärken, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu zersetzen. So soll die Unterstützung für die Ukraine untergraben werden. Russland ist aktuell der aktivste, aber nicht der einzige Akteur in Deutschland.

Die Symptome werden immer sichtbarer – auch weil es um unsere Abwehrkräfte schlecht bestellt ist. Forschungsergebnisse zeigen: Knapp die Hälfte der Bürger:innen verwechseln echte Informationen, Werbung und Desinformation. Sie halten irreführende Videos für glaubwürdig und klicken millionenhaft auf krude Verschwörungserzählungen. Insbesondere Jugendliche, die sich überwiegend online informieren, sind Lügen und Hass ausgesetzt. Dabei vertrauen sie journalistischen Medien immer weniger.

Welche Gegenmittel gibt es? Wir müssen schleunigst unsere gesellschaftlichen Abwehrkräfte stärken. Dafür brauchen wir eine generationsübergreifende Nationale Strategie Medienkompetenz. Bürgerinnen und Bürger müssen in der Lage sein, Fakes von Fakten zu unterscheiden und sich in einem immer komplexeren Informationsumfeld souverän und mündig zu bewegen.

Als Erste-Hilfe-Maßnahme benötigen wir an allen Schulen in Deutschland einen Medienkompetenz-Booster gegen Desinformation: An bundesweiten Projekttagen sollten jede Schülerin und jeder Schüler für das Thema sensibilisiert werden und Kompetenzen erlernen. Das Ziel muss sein: alle Schüler:innen befähigen, vertrauenswürdige von manipulativen Inhalten zu unterscheiden.

Die gute Nachricht: Es gibt bereits großartige Initiativen und Projekte, die hervorragende Arbeit leisten. Sie verfügen über viel Kompetenz und Erfahrung, um Schüler:innen spielerisch und auf Augenhöhe in ihrem Alltag zu erreichen. Jetzt muss es darum gehen, dieses Angebot in der Fläche zu verankern, gemeinsame Ziele und Standards festzulegen sowie eine Finanzierung sicherzustellen.

Die Nationale Strategie Medienkompetenz muss der Bund im Austausch mit Initiativen, der Wissenschaft und den Ländern entwickeln. Sie kann nicht auf Projekttage an Schulen begrenzt sein und muss alle erreichen – unabhängig von Alter, Herkunft, sprachlichem oder sozialem Hintergrund.

Angebote nah am Alltag der Menschen

Entscheidend wird sein, dass sie Angebote nah am Alltag der Menschen ermöglicht: in Senioren-Cafés, beim Elternabend, in Jugendzentren, in Berufsschulen, in Bibliotheken, in Volkshochschulen oder bei Vereinstreffen. Wir brauchen passende Formate für alle Orte, an denen Menschen zusammenkommen. Eine effektive Maßnahme mit hoher Reichweite sind etwa betriebliche Weiterbildungen analog zu Datenschutz- oder Arbeitssicherheitsschulungen.

Wir müssen auch über Lehrpläne und Lehrkräfteausbildung sprechen. Die Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“ bietet Anknüpfungspunkte, muss aber in allen Bundesländern mit gleichem Enthusiasmus umgesetzt werden.

Bund und Länder müssen über den notwendigen Digitalpakt 2.0 hinaus eine dauerhafte Lösung zur Finanzierung der digitalen Infrastruktur und der Konzepte zur Medienkompetenzvermittlung auf den Weg bringen. Der Bund kann die Länder zusätzlich unterstützen – beispielsweise in Form einer unabhängigen Bundeszentrale für digitale und Medienbildung. Als vertrauenswürdige Anlaufstelle für qualitätsgeprüftes Material kann sie die Rolle einer Apotheke übernehmen, die den Desinformations-Impfstoff zur Verfügung stellt.

Länder wie Estland oder Finnland, die Medienkompetenzvermittlung seit vielen Jahren konsequent im Bildungssystem verankert haben, weisen eine hohe gesellschaftliche Immunität gegen Desinformationskampagnen auf. Davon können wir lernen. Bürger:innen haben einen Anspruch darauf, in einer digitalisierten Gesellschaft mündig und selbstbestimmt teilhaben zu können. Die Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen, muss unser Ziel sein.

Dabei wird entscheidend sein, dass wir Medienkompetenz endlich stärker priorisieren. Wir sollten das vorhandene medienpädagogische Know-how und die kreativen Ansätze unserer vielfältigen und lebendigen Zivilgesellschaft nutzen und weiterverbreiten. So stärken wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt und machen unsere Demokratie immun gegen die Epidemie der Desinformation.

Anna Lührmann ist Grünen-Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin für Europa und Klima im Auswärtigen Amt.

Erhard Grundl ist Grünen- Bundestagsabgeordneter und medienpolitischer Sprecher.

Franziska Krumwiede-Steiner ist Grünen-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.